China sichert sich seit Jahren seine Handelswege über See. Das Land investiert an den wichtigsten Seerouten in Tiefseehäfen und gräbt den Nicaragua-Kanal durch Mittelamerika. Es kauft sich Liegeplätze auf allen Kontinenten und baut mittlerweile die größten Containerschiffe der Welt. Wer die einzelnen Fakten verbindet, erhält den Eindruck eines großen Plans: „Wer den Seehandel beherrscht, beherrscht die Welt“. China ist auf dem besten Wege dahin. Schon heute werden rund 25 Prozent aller Container von chinesischen Firmen umgeschlagen.
Sendetermine:
- FR 17.07.2015, 9:30 Uhr – 10:15 Uhr ZDFinfo
- SA 18.07.2015, 7:45 Uhr – 8:30 Uhr ZDFinfo
- FR 5.6.2015, 21.00 Uhr – 21.30 Uhr makro | 3sat
Interview mit dem Autor – Spurensucher
Der Wiesbadener Filmemacher Ingo Herbst reiste um die Welt und entdeckte dabei ein gigantisches Netzwerk, das den Welthandel auf den Meeren verändern wird.
Der Wiesbadener Filmemacher Ingo Herbst (50) begibt sich seit Anfang der 90er-Jahre immer wieder auf Spurensuche. Dabei entdeckt er teils erschreckende, teils erstaunliche Tatsachen, zum Beispiel über das Voranschreiten der Wüsten in Europa, die er in preisgekrönten Dokumentationen verarbeitet. Sein Dokumentarfilm „Wüsten im Vormarsch“ (42 Minuten, Arte) wurde mit acht internationalen Filmpreisen ausgezeichnet. Auch sein neuestes Projekt hat es in sich: in „Chinas Macht auf dem Meer“ (ZDF/3sat) zeichnet er die Bestrebungen des Reichs der Mitte nach, seine Seehandelswege weltweit zu sichern und auszubauen. Bei den Recherchen stieß der promovierte Politikwissenschaftler und TV-Journalist zusammen mit dem Wiesbadener Kameramann Ulrich Andrée auf ein weltumspannendes logistisches Netzwerk, das vom indischen Ozean über die Karibik bis an die deutsche Küste reicht und einem einzigen Zweck dient: der Sicherung wirtschaftlicher Macht.
Wie kommt man auf so eine Filmidee?
Ursprünglich recherchierte ich über den sogenannten „Gran Canal“ in Nicaragua, eine geplante neue Wasserstraße, die das lateinamerikanische Land durchschneiden und parallel zum Panamakanal verlaufen soll. Ich fragte mich, was der für einen Sinn wirklich hat und entdeckte dass ein Chinese dahinter steckte. Mich beschäftigte die Frage, warum das sinnvoll sein könnte, wenn sich der Kanal doch finanziell für keinen Investor lohnen würde. Ich stieß ich auf den Hafen Mariel in Kuba, der mit chinesischen Investitionen entsteht, auf Pekings Pläne in Lateinamerika, auf die weltweiten Hafen-Neubauten, die mit chinesischem Kapital umgesetzt werden und landete schließlich im Hamburger Hafen und an der norddeutschen Küste, in Wilhelmshaven, wo der JadeWeserPort, Deutschlands einziger Tiefwasserhafen, kurz vor seiner Vollendung steht. Vorher stolperte ich noch über einen gigantischen Hafen auf Sri Lanka und streifte Piräus… Das Spannende daran war ist, die einzelnen Elemente miteinander zu verknüpfen. Das ist der Erkenntnisprozess des Filmes. Soweit ich sehe, hat das auch noch niemand in dieser Dimension zusammengefügt. In einer 45 Minuten Version für ZDFinfo stehen zusätzlich auch noch Deutschland und Europa im Mittelpunkt.
Sehen Sie die wirtschaftlichen Aktivitäten der Chinesen als Bedrohung an?
Nein, ganz und gar nicht. Die junge Weltmacht sichert sich seine Rohstofflieferungen und Seehandelswege. Das haben die Amerikaner, Briten, Franzosen, Deutschen, Spanier etc. früher auch gemacht. Aber es gibt einen Unterschied: die genannten Länder kamen mit Waffen, ermordeten und versklavten die Völker. China macht das so nicht. Es kommt mit Geld und macht Geschäfte. Das mag für böswillige Menschen perfide klingen, ist aber ein entscheidender Unterschied für die Betroffenen, die dann noch lebendig und nicht tot sind…
Was ist das Besondere an Ihrem Film?
Der Aufwand um überhaupt die erforderlichen Drehgenehmigungen zu bekommen war unglaublich. Ich habe schon in der ganzen Welt gedreht, aber das hier übertraf doch alles Bisherige. Dazu muss man wissen, dass Häfen besonders gesicherte Areale sind, etwa wie Flughäfen, da braucht man immer eine Sondergenehmigung, zusätzlich zu den Drehgenehmigungen für die Länder selbst. Im Ergebnis war es eine tolle Erfahrung und die Belohnung für die Bemühungen unseres gesamten Teams, dass wir in Kuba und in Sri Lanka das erste Kamerateam waren, das diese Projekte zu sehen bekam. Sri Lanka baut einen Hafen, wo allein ein Nebenbecken schon über 130 Fußballfelder groß ist. Das sprengt jede Vorstellungkraft.
Ihnen begegnet doch sicherlich immer wieder der Neid, dass Sie bei so einem Projekt viel rumkommen?
Ja, das höre ich immer wieder. Und da ist ja auch was dran. Das ist der beste Job der Welt für mich. Aber man muss das auch mögen. Sri Lanka sah so aus, dass wir über Nacht hinflogen, morgens landeten und unsere Drehgenehmigungen in zwei Ministerien holen mussten. Dort hatten wir einen einheimischen Mitarbeiter vor Ort, der uns half. Wir saßen nur in Wartezimmern herum, verstanden gar nichts und schliefen immer wieder ein. Am nächsten Morgen fuhren wir 400 Kilometer weiter zu dem Hafen auf der anderen Seite der Insel. Eine Fahrt über sieben Stunden, bei 35 Grad im Schatten und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dann war Drehtag. Das bedeutete: gegen 6 Uhr aufstehen, das Frühstück hatte das Hotel vergessen…uns knurrte der Magen. Den ganzen Tag in der Gluthitze herumfahren, aussteigen, drehen, weiterfahren, von verwunderten Chinesen kontrolliert werden und schließlich mit mittlerem Sonnenbrand und verschwitzt zurück ins Hotel. Dort war zwischenzeitlich eine Flugameisenkolonie in meinem Zimmer geschlüpft und ich stand vor der Alternative: Moskitonetz enger ziehen oder den Einsatz einer Chemiekeule unbekannter Zusammensetzung. Ich verstopfte dann die Schlupflöcher mit nassem Klopapier und fegte Millionen Flugameisen per Hand aus dem Zimmer. Am letzten Tag ging es dann zurück zum Flughafen, nach sieben Stunden Fahrt in den Flieger und nach einer weiteren Nacht in der Holzklasse landeten wir morgens in Frankfurt. Da ist man schon ganz schön durchgekaut… Aber immerhin produziere ich das, wofür andere den Fernseher einschalten, das ist schon ein Privileg. Immer im Büro sitzen wäre für mich der Horror! Lieber renne ich durch die Welt, bin durstig, ungewaschen, friere mir manchmal den Hintern ab, hole mir einen Sonnenbrand, improvisiere vor Ort, treffe tiefgehende Entscheidungen oder riskiere sonst etwas. So ein Job ist wohl eine Frage des Typs. Ich liebe ihn – je herausfordernder, desto besser. Mein Hobby ist Bergsteigen, vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang (lacht).
Der Film „Chinas Macht auf dem Meer“ von Dr. Ingo Herbst wird am 5.6. 2015 um 21 Uhr auf 3sat ausgestrahlt.
Hintergrundinfos zum Film
China und der Welthandel
China plant den Ausbau der Handelsbeziehungen zu Lateinamerika. 500 Milliarden möchte Peking in den nächsten Jahrzehnten dort investieren. Dazu benötigt es einen zuverlässigen Seeweg. Rohstoffe sind die Kohlehydrate des weltumspannenden ökonomischen Lebens. Der Anteil der wichtigsten Frachtgüter auf See sind Rohöl und Ölprodukte mit einem Anteil von über einem Drittel, sowie Kohle und Eisenerz mit über 20 Prozent. China benötigt für seine Ökonomie ständig mehr Rohstoffe, Ersatzteile und Grundsubstanzen. Die Routen von Lateinamerika nach China führen bisher durch den Panamakanal. Doch schon heute ist diese Wasserstraße für die immer größeren Schiffsgiganten zu schmal.
Wachsende Meeresriesen
Während der letzten 35 Jahren haben sich die Ladekapazitäten der Containerschiffe mehr als verzwanzigfacht. Besaß das größte Containerschiff 1968 – ein umgebauter Tanker – eine Transportkapazität von 700 TEU bei einer maximalen Geschwindigkeit von 20 Knoten, so verfügt ein heutiges Standardschiff über eine Ladekapazität von 8.200 TEU bei einer Geschwindigkeit von bis zu 25 Knoten (45 km/h). An Deck eines solchen Schiffes werden sieben bis acht Lagen Container in 17 Reihen und unter Deck 15 Reihen in neun Lagen verstaut. Das derzeit größte Containerschiff der Welt (2015), die MSC Oscar, besitzt eine Kapazität von 19.224 TEU. Würde man alle Container, die auf das Schiff passen, hintereinander aufstellen, wäre die Schlange rund 116 Kilometer lang. Durch den Transport von Gütern in solch riesigen Mengen werden die Kosten minimiert. So betragen die Transportkosten für eine Flasche Wein von Australien nach Europa heute 12 Cent, eines Pfundes Kaffee aus Mittelamerika 3 Cent.
Die größten Häfen der Welt
Von den 20 größten Containerhäfen der Welt, bezogen auf ihr Umschlagvolumen, liegen allein sieben in China. Angeführt wird die Liste vom Hafen Shanghai mit seinem neuen Teilstück Yangshan, das etwa 90 km vom Mutterhafen entfernt im chinesischen Meer liegt. Der 2005 teileröffnete Tiefwasserhafen ist über die 32 Kilometer lange Donghai-Daqiao-Brücke mit dem Festland verbunden. Sie ist die längste Überseebrücke der Welt. 2020 soll der dann voll ausgebaute Hafen Containerschiffe jeder Größe be- und entladen können. Der größte europäische Containerschiffhafen, Rotterdam, folgt auf Rang 11. Hamburg, wichtigster deutscher Umschlagplatz, steht auf dem 15. Platz.
Seeschifffahrt und die Umwelt
Die Seeschifffahrt verursacht erhebliche Umweltbelastungen und schwere Schäden im Ökosystem Meer mit unnötig hohen Emissionen aus dem Schiffsbetrieb und Havarien in Wasser und Luft – wie Öl- und Abgasemissionen, Antifouling-Anstriche, Ballastwasseraustausch sowie Einbringen von Abfällen wie Kunststoffen in die Meere. Kein anderer Verkehrsträger bietet mehr Potenzial für Umweltschutzmaßnahmen als die Seeschifffahrt. Angemessene Vorschriften zum Schutz der Umwelt in der Schifffahrt scheiterten bisher unter anderem daran, dass Reedereien ihren Flaggenstaat trotz des Artikels 91(1) im Seerechtsübereinkommen (SRÜ) frei wählen können. Dieser Artikel besagt, dass zwischen dem Flaggenstaat und dem Schiff eine echte Verbindung bestehen muss. Obwohl dies oft nicht der Fall ist, wandern viele Reeder zu den so genannten Gefälligkeitsflaggen ab, die nicht immer in der Lage oder nicht Willens sind, das internationale See- und Schifffahrtsrecht auf ihren Schiffen ausreichend konsequent durchzusetzen.
Leave A Comment